RETO PAROLARI (1952 – 2019): EIN NACHRUF

„Lieber Reto!“ „Servus, Burli!“
Wie wir uns auch gegenseitig nannten, ich möchte mich heute aufrichtig bei Dir bedanken! Seit über 20 Jahren habe ich die Freude und Ehre gehabt, unter Deinem Dirigat singen zu dürfen. Im Brucknerhaus in Linz, im Wiener Konzerthaus, aber zumeist bei Deinem 1991 gegründeten groß- und tatsächlich einzigartigen „Festival für gehobene Unterhaltungsmusik“ in Winterthur. Du hattest dieses Festival gegründet, weil es so etwas nicht gab und Du hast es zu einer wahrhaften Börse vor allem für Operette gemacht. So haben wir gemeinsam – wie Du sagtest – „rauf und runter Operette“ gemacht. Und mit Dir und Deinen verschiedenen Orchestern, vor allem dem ORP (Orchester Reto Parolari, 1973 von Dir gegründet) war es immer ein Fest auf der Bühne zu sein! Du hattest wunderbare und von Dir hochgeschätzte Lehrmeister, u. a. in Wien Prof. Max Schönherr, Du warst immer präzisest vorbereitet und hast Dir Deine unbändige Musizierlust behalten. Du hattest jahrelange Erfahrungen, hast besten Tradition vertraut. Du wusstest also, wie es geht, „das schwere Leichte“ und mit Dir ging es immer ganz „natürlich“ und „wie von selbst“.

Reto Parolari

Und Du liebtest uns, Deine Musikerinnen und Musiker und vor allem Deine – unsere – Komponisten und pflegtest freundschaftliche Kontakte zu ihnen und ihren Familien. Auch das verband uns – glückliche Stunden mit den Familien von Nico Dostal, Fred Raymond, Robert Stolz, Emmerich Kálmán und vielen anderen! Vor allem und immer wieder verband uns unser geliebter Meister Charles Kalman, der uns vor 20 Jahren zusammenbrachte! Du warst Uraufführungsdirigent und Widmungsträger vieler seiner Kompositionen, die Du auch in Deinem einzigartigen, wichtigen Verlag betreutest. Da es keinen seriösen Verlag für „gehobene Unterhaltungsmusik“ gab, so musstest Du eben selbst einen gründen, um an einwandfreies Aufführungsmaterial zu kommen, sei es im Original oder in Arrangements.

Und ein hervorragender Arrangeur warst Du auch!! Erstens ein „Studierter“ und zweitens ein aus jahrzehntelanger Aufführungspraxis Kommender: Du wusstest, wie eine bestimmte Orchesterformation am besten zum Klingen kommt, welche Verdoppelungen in Orchesterstimmen wegfallen können und müssen, damit Sänger nicht zugedeckt werden, welche Auftakte besser „die Bühne“ alleine macht, da es mit dem Orchester meist nur schwer zusammenzubringen ist und obendrein weniger Spannung hat, Du wusstest, welches Rubato beste Tradition und welches nur Schlamperei ist.

In den, nach dem Rückzug von Prof. Gabriel Patocs im Jahr 2015, schwierigen Zeiten für die Internationale Franz Lehár Gesellschaft (IFLG), konnte ich Dich für die Leitung des Franz Lehár-Orchesters (FLO) gewinnen. Mit der Dir eigenen „intellektuellen Leidenschaft“ hast Du großartige Aufbauarbeit geleistet und die Arbeit der IFLG wesentlich unterstützt. Es ist uns gelungen, die einige Jahre unterbrochene Tradition der „Sonntag Nachmittagskonzerte“ im Wiener Konzerthaus von Prof. Eduard Macku erfolgreich wieder aufzunehmen. Durch Deine souveräne, kenntnisreiche und „klare Liebenswürdigkeit“ hast Du immer wieder bewiesen, was mit perfekter Vorbereitung und stilsicherer Führung in oft knapper Probenzeit zu erreichen ist: stilistisch einwandfreie, unsentimentale, geschmackvolle und musikantische (Operetten-)Interpretation! Das FLO, ein Orchester, dem dieser Stil noch vertraut ist, und Du, ihr „habt Euch gefunden“, ihr habt eine Sprache gesprochen. Eine Sprache, die heute nicht mehr oft gehört werden kann!

Am 19. November 2019 standen wir das letzte Mal gemeinsam auf der Bühne. Genau am 90. Geburtstag unseres Meisters Charles Kalman war uns das „Kálmániana“- Konzert der IFLG und des FLO im MuTH, Theater der Wiener Sängerknaben, ein besonderes Anliegen. Seine letzte Komposition „All Aboard For Nice“, die wir bei einem Konzert im Dezember 2014 zu Kalmans 85. Geburtstag uraufgeführt haben, hatte er dem FLO und Dir gewidmet. Nach dem Konzert dankte Dir Charles damals in einem berührenden Schreiben für Deinen jahrzehntelangen Einsatz für seine Werke:

Wien, 20. 12. 2014

Lieber Reto!
Vom „Festival Walzer“ bis „All Aboard“ war es ein sehr langer Weg. Ich danke Gott, dass ich ihn mit Dir und Deinem Können und Deiner Einfühlsamkeit machen durfte. Und wünsche, dass es noch viele solche Treffpunkte geben wird. Herzlichst!
Dein Charles

Du sagtest mir, dass Du diese Zeilen damals bereits als „Abschied“ Charlys empfunden hast. Und so sollte es auch werden, denn zwei Monate später, im Februar 2015, hat er uns verlassen. Als ich diesen Brief nun im November 2019 bei unserem „Kálmániana“-Konzert dem Publikum vorlas, konnte niemand ahnen, dass wiederum nur ein Monat später, am 15. Dezember 2019, auch Du von uns gehen wirst!

Umso größer ist die Fassungslosigkeit und Ohnmacht dem gegenüber, was man Schicksal nennt! Ohne Dich zu sein, ist unmöglich vorzustellen – für Deinen hochbetagten Vater, der so stolz war, dass Du 2019 den „Kulturpreis der Stadt Winterthur“ erhieltest, mit dem auch er vor vielen Jahren ausgezeichnet wurde; für Deine nicht einmal zwanzigjährige Tochter, die nun auf ihren eigenen Beinen stehen muss; für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Deines großen und wichtigen Verlages „Swissmusic“ in Winterthur; für all die Organisationen, in denen Du entscheidende Funktionen hattest; für alle Musikerinnen und Musiker Deiner Orchester, vor allem des ORP, Deines Orchesters beim Zirkusfestival in Monaco und natürlich für uns in Wien: das Franz Lehár-Orchester und die IFLG. Und mir ist ein Bruder abhandengekommen, ein Bruder, mit dem ich mit Herz, Hirn und Humor spielen, für „unsere Sache“ kämpfen kann, dem ich vertrauen kann, weil ich weiß, dass er weiß, was er tut.

Reto Parolari war einer der letzten, der um „die Sache der Operette“ ganz genau in Theorie und Praxis Bescheid wusste, besser als die meisten der so ernsthaften Besserwisser. Sein Platz bleibt unbesetzt – in der Welt der Operette und in meinem Herzen! Tröstlich soll uns sein, dass sein Abschied von dieser Welt ein plötzlicher und vermutlich schmerzfreier war und vor allem, dass er nun jenen nahe ist, die ihm wohl tatsächlich am nächsten waren: unseren großen Meistern!
Servus, Burli, sei bedankt.
Und richte bitte uns‘re Grüße aus!

Reto Parolari
Aus einer Musikerfamilie stammend. Als Dirigent, Verleger, Komponist, Arrangeur anerkannter Fachmann für gehobene Unterhaltungsmusik.
Ausbildung an der Musikhochschule Winterthur/Schweiz, in Hannover (Ernst Hildebrand), Stuttgart (Heinz Buchold) und Wien (Prof. Max Schönherr).
1973 Gründung des „Orchester Reto Parolari“ (ORP), zur Pflege und Erhalt der gehobenen Unterhaltungsmusik.
Theater und Konzert: Fünf Jahre Dirigent für Operette und Musical am Stadttheater St. Gallen, sowie 14 Jahre am Theater Carré (Amsterdam).
Regelmäßige Zusammenarbeit mit Orchestern und Rundfunkanstalten in Europa, Russland, Amerika. Zahlreiche TV- und Radioproduktionen. Über 35 CDs.
1991 Gründung „Internationales Festival der Unterhaltungsmusik“ (Winterthur), das jährlich durchgeführt wird und sich zur Börse für gute U-Musik entwickelt hat.
Tätigkeit als Zirkusdirigent: Sechs Jahre beim „Schweizer Nationalcircus Gebr. Knie“; drei Jahre musikalischer Oberleiter bei „Circus Krone“ in München; seit 1997 Chefdirigent beim „Internationalen Circusfestival“ in Monte Carlo.
Als Komponist und Arrangeur: Verfasser mehrerer Hundert Werke im Bereich E- und U-Musik.
Auszeichnungen: Seit Juni 2007 Vorstandsmitglied der SUISA. 2004 Anerkennungspreis der SUISA-Stiftung für sein langjähriges Wirken als Interpret, Urheber und Verleger. 2015 Carl-Heinrich-Ernst Kunstpreis für sein Lebenswerk. 2019 Kulturpreis der Stadt Winterthur.

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